Stoffe vorwaschen ja oder nein.
Eine sehr viel diskutierte Frage – gerade bei Hobbyschneiderein. In diesem Beitrag möchte ich aber all jene ansprechen, die Handgemachtes verkaufen. Denn dann ist es eine ganz klare Sachen, ob wir Stoffe vorwaschen oder nicht.
Doch gehen wir mal der Sache auf den Grund, welche Gründe denn für das Vorwaschen sprechen:
1. Einlaufen der Stoffe
Leider laufen viele Stoffe beim ersten Waschen ein. Dazu gehören Naturmaterialien oder Stoffe mit Elasthananteil. Auch bei Leinenstoffen kann der Stoff bis zu 10% einlaufen.
2. Ausbluten der Stoffe
Klingt ziemlich grauslig oder? Ausbluten beschreibt in der Textilverarbeitung das Auswaschen von überschüssigen Farbstoffen. Bei dunklen, haputsächlich blauen und roten Stoffen kann es durchaus sein, dass der eine oder andere Stoff beim Herstellungsprozess nicht komplett ausgewaschen wurde und deshalb noch abfärbt.
Dies bedeutet für euch: Wascht ihr einen Stoff oder ein Kleidungsstück aus einem ungewaschenen Stoff zusammen mit anderen Kleidungsstücken oder kombiniert ihr dunkle mit hellen Farben, kann es sein, dass ihr evt. eine böse Überraschung erlebt. Nach dem Waschgang hat das Kleidungsstück eine andere Farbe. Ist sicher jedem von euch schon mal passiert mit gekauften Produkten.
3. Hygiene
Dieses Argument höre ich immer wieder von Hobbyschneiderinnen. Warum aber gerade dieses Argument auch ein Contra sein kann, möchte ich euch gerne erklären. Es stimmt natürlich, dass manche Stoffe eine lange Reise hinter haben, bevor sie auf unserem Zuschneidetisch kommen.
Nach dem Herstellung werden sie in einem Container verschifft, vom Großhändler in grossen Hallen zwischengelagert und dann in kleinere Einheiten verpackt. Dann erst werden sie zum nächsten Stoffladen verschickt, wo sie von vielen Schneiderhänden befühlt und gestreichelt, bevor sie dann mit viel Liebe vernäht werden. Von den Chemikalien in den Stoffe rede ich hier noch gar nicht.
Also ja – würde man nur diese Aspekte betrachten, wäre es sinnvoll jeden Stoff vorzuwaschen.
Was kann denn passieren, wenn ich nicht vorwasche?
- Verwende ich unterschiedliche Stoffe in einem Produkt, dann können sie natürlich unterschiedlich einlaufen. Beispiel: Walkanzug gefüttert mit Jersey. Das heißt in diesem Fall, würden wir den Walkanzug waschen, würde der Walk eingehen und der Jersey wäre dann im Verhältnis zum Walk viel zu groß. Bei anderen Kleidungsstücken kann es passieren, dass sich das Kleidungsstück verzieht oder nach dem Waschen Blasen wirft. Im schlimmsten Fall kann man das Kleidungsstück wegwerfen.
- Wenn ich unterschiedliche Farben in einem Produkt verwende, dann kann beim erstmaligen Waschen der dünklere Stoff auf den helleren Stoff abfärben und somit das ganze Kleidungsstück ruinieren. Dies nennt man auch Ausbluten und wird in der Industrie mit dem Wert der Farbechtheit angegeben.
- Aber auch wenn ich nur eine Stoffart und eine Stofffarbe verwende, kann das Kleidungsstück beim erstmaligen Waschen eingehen, sodass nachher z.B. die Ärmel zu kurz geworden sind.
Also auch hier sprechen viele Dinge für das Vorwaschen. Doch was spricht nun dagegen?

Dazu möchte ich dich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass du gewerblich nähst. Du verkaufst deine Produkte an Endkunden. Das heißt für dich, dass wenn du deine Stoffe vorwaschen würdest, du keine Neuware mehr verkaufst! Also rechtlich als gebraucht gilt und dies auch so deklariert werden müsste.
Weder in der Industrie, noch in den Konfektionen der Modefirmen wird ein Stoff vorgewaschen. Auch Schneiderinnen die Maßanfertigungen anbieten, waschen ihre Stoffe nicht vor der Anfertigung.
Das stellt sich doch die Frage – Wie gehen diese Hersteller mit dem Einlaufens und Ausbluten der Stoffe um?
- Einlaufwerte einholen:
Als Stoffeinkäufer eines Modelabels oder Maßschneiderei muss ich mich im Vorfeld über die Einlaufwerte der Stoffe informieren. Jeder Hersteller hat dazu seine Angaben, die er dir aushändigen muss.
- Waschtest durchführen:
bevor du in Produktion gehst, solltest du Waschtest durchführen. So erkennst du genau wieviel ein Stoff einläuft und ob die Gefahr des Ausblutens besteht.
- Richtige Stoffe kombinieren:
Gerade dieser Teil ist ein sehr wichtiger Aspekt unserer Arbeit und unterscheidet Hobbyschneiderinnen von Expertinnen. Wir müssen uns mit dem Material auskennen, was wir vernähen. Denn nur wer sich mit dem Material wirklich auskennt, weiß welchen Stoff und welche Farbe er kombinieren darf und wie er sich nach dem Waschen verhalten wird. Es liegt also an uns Herstellerinnen über die Dinge Bescheid zu wissen oder uns weiterzubilden. Wenn du noch nicht so versiert in Materialkunde bist, dann empfehle ich dir mein Webinar Textile Materialkunde.
- Kunden über Pflege informieren:
Wenn ich unterschiedliche Stoffe oder Farben kombinieren, dann muss ich meinen Kunden darüber informieren, wie er das Kleidungsstück zu pflegen hat, damit es auch nach dem ersten Waschen noch schön aussieht.
Aus meinem Nähkästchen geplaudert: In meiner gesamten Laufbahn als Schneiderin ist es mir nur ein einziges Mal passiert, dass ein Kleidungsstück nach dem ersten Waschen nicht mehr schön ausgesehen hat. Dies war ein dunkelblaues Tshirt, das nach dem Waschen seine Farbe verloren hat. Ich hatte tatsächlich bei diesem Stoff keinen Waschtest gemacht. Als die Kundin mir das mitgeteilt hat, habe ich ihr das Kleidungsstück natürlich sofort kostenfrei ersetzt und meinem Hersteller eine Meldung gemacht. Da der Hersteller, dann noch mehrere Reklamationen erhalten hat, wurde mir der Stoff gutgeschrieben.
Zusammenfassung:
Als Hersteller müssen wir uns im Vorfeld darüber Gedanken machen, wie der Stoff sich verhalten wird, denn auch ohne Vorwaschen bin ich dafür verantwortlich, wie das Kleidungsstück nach dem Waschen aussehen wird. Das wird natürlich schwierig, wenn ich billige Stoffe irgendwo auf dem Stoffmarkt einkaufe oder immer nur 1 Meter Stoff einkaufe und diesen dann vernähe. Denn dann habe ich ja keine Angaben und auch nicht soviel Stoff übrig um eine Waschprobe zu machen.
Somit solltest du dir als gewerbliche Näherin auch Gedanken darüber machen, wo und wie du einkaufst, denn es sollte sich ja auch noch für dich rentieren. Dennoch möchte ich dir zum Schluss noch ein paar Tipps an Hand von Fragen weitergeben.
Mein Tipp
Wasche deine Stoffe auf keinen Fall vor, sondern setze dich mit deinen Materialien auseinander und stelle dir vor der Herstellung deiner Produkte immer folgende Fragen:
- Bekomme ich von meinem Hersteller Angaben zu Einlauf und Farbechtheit?
- Wenn nein – Waschtest machen!
- Welchen Stoff darf ich mit welchen Stoff kombinieren? (Ähnlichkeit Farbe/Einlaufeigenschaften)
- Worauf muss ich bei der Herstellung achten? (z.B. Einlauf in den Schnitt einkalkulieren)
- Welche Farbkombinationen darf ich riskieren?
- Bei welchen Kombinationen benötigt es nachher eine chemische Reinigung?
- Welche Pflegehinweise muss ich meinem Kunden weitergeben, damit das Kleidungsstück auch wirklich schön bleibt?
Zu guter Letzt noch einen allerletzten Hinweis und ein wichtiges Argument gegen das Vorwaschen – die Verarbeitung ist einfacher! 🙂

Wenn Fragen offen geblieben sind, dann melde dich gerne bei mir oder besuche mein Webinar Textile Materialkunde. Du wirst sehen – nachher wird es dir leichter fallen, alle diese Dinge zu beachten!
Deine Simone